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Jan Hartwig

INTERVIEW

Er ist Münchens Drei-Sterne-Koch! Nur dreieinhalb Jahre, nachdem er seinen Job als Küchenchef im Restaurant Atelier im Bayerischen Hof angetreten hat, erhielt er die höchste Auszeichnung des Guide Michelin. Uns verrät er, welche Ziele er noch hat.

25. Mai 2018

Lieber Herr Hartwig, seit dreieinhalb Jahren sind Sie der Küchenchef im Restaurant „Atelier“ im Bayerischen Hof. Ende 2017 hat Sie der Guide Michelin als elften deutschen Spitzenkoch mit der Maximalauszeichnung von drei Sternen gekürt. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Es ist ein Traum, der wahr geworden ist. Während meines zweiten Ausbildungsjahres durfte ich bereits miterleben, wie ein Restaurant einen Stern erhalten hat - eine überwältigende Erfahrung. Ich wusste damals: Das wird mein Weg. Aber zur Spitzengastronomie gehört neben Talent, Fleiß und Verzicht immer auch ein wenig Glück. Das hatte ich: Mit großartigen Menschen, um mich herum, die früh die eine oder andere Weiche gestellt haben. Sonst wäre ich vielleicht doch in eine andere Richtung abgebogen. Denn meine gastronomischen Wurzeln liegen woanders: Mein Vater betreibt einen Landgasthof. Ich liebe seine einfache und großartige Küche. Er ist ein stolzer und leidenschaftlicher Koch - jenseits von Sternen. Aber er hat das Interesse in mir geweckt, denn auf gemeinsames Essen wurde bei uns sehr viel Wert gelegt.

Ihr Zuhause liegt in Niedersachsen?

Zwischen Braunschweig und Hannover, in einer sehr ländlichen Region. Unser Dorf hat gut 2000 Einwohner. Als Kind war das sehr schön, doch heute bin ich mehr Stadtmensch. Wenn ich um halb eins nachts Feierabend mache, dann wäre es schwer zu ertragen, wenn die Bürgersteige schon hochgeklappt wären. Ich möchte zumindest die Möglichkeit haben, noch einen Feierabenddrink zu genießen oder etwas essen zu können. Ich mache das zwar so gut wie nie, aber ich habe zumindest das Gefühl, ein wenig Freizeit zu haben.

Nach 23 Jahren sind Sie der erste Koch, der in München wieder ein Drei-Sterne-Restaurant betreibt. Ihr Vorgänger war kein Geringerer als Eckart Witzigmann mit dem „Aubergine“. Ist er ein Vorbild für Sie?

Ich habe wenige Vorbilder in diesem Sinne. Ich finde zum Beispiel vorbildhaft, wenn jemand jeden Tag gut gelaunt ist. Doch der Name Eckart Witzigmann war für mich von Kindesbeinen an ein Begriff. Mein Vater hat ihn sehr verehrt. Mit nur 19 Jahren fuhr er mit meiner damals 17-Jährigen Mutter im Polo nach München, um bei ihm zu essen und anschließend auch gleich wieder zurück nach Helmstedt zu fahren. Ich habe Herrn Witzigmann persönlich das erste Mal beim 80. Geburtstag von Wolfram Siebeck getroffen. Mein ehemaliger Chef Sven Elverfeld und ich haben dort gekocht. Ich machte ein Foto mit ihm und er gab mir seine Visitenkarte. Das Bild habe ich mir damals eingerahmt! Ein paar Jahre später war er im Aqua in Wolfsburg essen und stellte sich vor. Da wusste ich, er kann sich nicht an mich erinnern. Heute kennen wir uns ganz gut, wohnen nicht weit voneinander entfernt und sehen uns ab und zu in der Brasserie l'Atelier bei Thierry Leoncelli. Die Begegnungen sind immer sehr nett und inspirierend. Er war auch einer der ersten, der mir zum dritten Stern gratuliert hat.

Welche Ziele hat man nach dieser Maximalauszeichnung noch?

Selbst zufrieden zu sein und zu bleiben. Man kann nur gut und kreativ arbeiten, wenn man happy ist. Mir ist wichtig, nicht in ein Hamsterrad zu geraten. Wobei natürlich mit dem dritten Stern eine gewisse Verpflichtung und Druck kommen.

Können Sie uns Ihren Arbeitsalltag beschreiben?

Ich fange meistens am späten Vormittag mit den Dingen an, die mir am wenigsten Spaß machen: E-Mails, Telefonate, Bestellungen und so weiter. Ich habe Gott sei Dank ein Team, das mir hier unter die Arme greift, damit ich mehr Zeit zum Kochen habe. Denn ich mache alle Saucen selbst, filetiere auch den Fisch persönlich. Es gibt eine Teambesprechung zum Menü und dem Service. Dann essen wir gemeinsam, bevor der Abendbetrieb startet.

Für den Betrieb eines Sterne-Lokals ist sicher auch ein großes Investment fällig?

Bewertet wird, was oberhalb des Tellers liegt - das betont die Michelin-Jury immer wieder. Aber natürlich will ein Gast, der für das Sieben-Gänge-Menü im Bayerischen Hof 220 € bezahlt, auch ein anständiges Ambiente. Für die Auszeichnung zählt aber nur die Küchenleistung.

In der Urteilsbegründung von Michelin heißt es: „Die Küche von Jan Hartwig hat in nur wenigen Jahren eine eigene Handschrift entwickelt: Geschmacklicher Tiefgang, Klarheit, Intelligenz im Aufbau.“ Was ist Ihre Formel dafür?

Ich bin sehr reflektiert und lasse mich nicht von Trends verleiten. Ich mache nur das, was schmeckt und bin dafür bekannt, viele eher einfache Produkte zu nutzen. Ein Signature-Dish etwa ist der Schweinebauch - natürlich ist das kein Rinderfilet, aber er kostet eben auch nicht den Preis. Ich habe aktuell Sardinen in der Vorspeise - keine Seezunge, aber in der Mischung perfekt. Diese Dramaturgie des Menüs lege ich fest. Das klingt für mich nach Geldersparnis als Grund für die Verwendung einfacher Produkte. Ich mache das aber, weil ich Rinderfilet langweilig finde und eine tolle Sardine schwieriger zu bekommen ist, als ein mittelmäßiger Steinbutt.

Was macht das „Atelier“ zu einem besonderen Ort?

Die lockere, heitere Atmosphäre. Bei uns fühlt sich der Gast wohl! Wir führen ein ungezwungenes Lokal, ohne dabei die professionelle Distanz zu vermissen. Ich bin dabei der Kopf, entwickle die Gerichte, organisiere und motiviere. Meine Mannschaft setzt die Ideen mit mir um. Ganz wichtig ist guter Service mit Fingerspitzengefühl. Kommt der Gast etwa zu einem romantischen Date, dann will er nicht ständig gefragt werden, ob es schmeckt. Wenn Sie mit Geschäftspartnern essen, dann möchten Sie nicht zehn Minuten lang ein Gericht erklärt bekommen. Wenn es aber einen Gast interessiert und er nachfragt, dann muss der Service erzählen können. Diese gesunde Mischung aus natürlicher Herzlichkeit, Empathie und Fachwissen zählt. Und wenn man die drauf hat, dann ist man automatisch locker. 

Wenn dem Gast ein Gericht des 7-Gänge-Menüs nicht entspricht, sollte er sich trotzdem darauf einlassen?

Man muss zunächst einmal unterscheiden, warum das Gericht nicht passt. Liegt etwa eine Lebensmittelallergie zugrunde, dann ist das eine klare Sache. Ansonsten empfehlen wir dem Gast, einfach zu probieren. Das Menü folgt einer Dramaturgie - ich habe mir etwas dabei gedacht. Sie gehen auch nicht zum Rolling Stones-Konzert und erwarten, dass dieses oder jenes Lied bitte nicht gespielt wird. Aktuell haben wir zum Beispiel meine Spezialität Kalbsbries auf der Karte - nicht jedermanns Sache. Unser Service versucht die Gäste mit der „Geld-zurück-Garantie von Herrn Hartwig“ zu überzeugen: Sie probieren das Gericht und sollte es tatsächlich nicht schmecken, dann bekommen sie sofort etwas anderes. Das funktioniert! Die Leute sind begeistert und wir hatten bislang noch nie einen Gast, der die Garantie in Anspruch genommen hätte…

Man sollte sich also als Gast fallen lassen und auch mal neue Dinge ausprobieren?

Ganz genau! Ich kann damit umgehen, wenn es einem Gast mal nicht schmeckt. Es ist normal, dass man gewisse Präferenzen und Abneigungen hat. Ich persönlich mag etwa keinen Blumenkohl, aber ich würde einen Gang trotzdem nicht abbestellen. Wenn man aus meinem Sieben-Gänge-Menü zwei Gerichte umbauen will, dann ist das kein Hartwig mehr.

Wie oft stellen Sie das Menü um?

Wir haben eine gewisse Kontinuität. Das Restaurant ist jeden Tag ausgebucht, der Gast kommt nicht alle drei Wochen. Wir haben einen Turnus von etwa acht bis zwölf Wochen, wobei ich auch nicht immer alles wechsle.

Was ist der Worst Case für einen (Sterne-)Koch?

Wenn man nicht vorbereitet ist! Wir sind aber auch von vielen äußeren Einflüssen abhängig: Von der Natur etwa. Wenn in Frankreich Sturm herrscht, dann bekomme ich keine Jakobsmuscheln. Oder von Lieferanten: Da steckt der Fahrer im Stau, die Kühlkette wurde unterbrochen, oder, oder, oder. Da muss man sich dann zu helfen wissen. In München ist das nicht ganz so schwer, wie andernorts. Man geht schnell zu Viktualienmarkt oder leiht sich etwas von einem Kollegen.

Und in Sachen Gäste?

Bei der Tischreservierung hinterlässt der Gast eine Telefonnummer. Wir rufen dann vor dem Restaurantbesuch noch einmal an. Das dient als doppelte Sicherheit. Einerseits aus wirtschaftlichen Gründen - wenn im komplett ausgebuchten Lokal ein Sechsertisch nicht erscheint, dann ist das für uns ein größerer Ausfall. Andererseits dient der Pre-Call auch dazu, dass der Gast sich wohlfühlt und alles passt. Wenn etwa ein Geburtstag bei uns gefeiert wird, dann backen wir einen Kuchen. Oder am Hochzeitstag gibt es schöne Deko. Wir fragen Lebensmittelallergien ab und können so auch ein Alternativgericht planen. Am Abend selbst geht das nicht. Ein Beispiel: Das Restaurant ist voll, Pre-Call beim Gast war gemacht und am Tisch sagt die Frau, sie esse nur vegan. Ich empfinde das als gewisse Respektlosigkeit der Küche gegenüber. Wir sind kein veganes Restaurant. Wie sollen wir im voll besetzen Lokal ein alternatives Menü zaubern? Mein Ziel ist, dass die Gäste am Ende des Abends nach Hause gehen und begeistert sind. Aber das kann ich nur schaffen, wenn man mir die Möglichkeit dazu gibt.

Gibt es auch besondere Gäste?

Ich finde es immer toll, wenn Kollegen da sind. Eckart Witzigmann zum Beispiel, Christian Bau oder Nils Henkel. Es ist auch etwas Besonderes, wenn die eigene Familie kommt. Dann gibt es auch konstruktive Kritik - denn die Wahrheit hört man nur von Leuten, denen man auch selbst die Wahrheit sagt.

Wo lassen Sie sich selbst gerne bekochen?

Bei meinem Vater im Landgasthof. Ich gehe hier in München gerne essen, auch in Spitzenlokale. Aber es scheitert meist an identischen Öffnungs- und Schließtagen. Oft bin ich bei Landersdorfer & Innerhofer, esse aber auch mal in einer Pizzeria oder einen Burger.

Haben Sie für Hobbyköche den ultimativen Tipp?

Viel Eindruck hinterlassen selbstgemachte Fonds und Saucen - sie bedeuten aber auch viel Arbeit. Doch die lohnt sich, denn man kann einfrieren. Sie bereiten nie ein tolles Hühnerfrikassee mit gekörnter Brühe auf Wasserbasis zu. Mit eigenen Fonds hingegen hat man immer eine Basis. Das ist auch ein Grund, warum ich zuhause fast nicht koche. Ich würde nie gekörnte Brühe oder fertige Saucen nutzen, habe aber nach einem Tag in der Profiküche, keine Lust am „Puppenherd“ zu stehen. Da gibt es vielleicht mal Nudeln, aber nichts Aufwändiges!

Was ist Ihr Lieblingswein und -champagner?

Ich mag sehr gerne weißen Burgunder. Ramonet zum Beispiel. Erst gestern habe ich einen hervorragenden Riesling von Dreissigacker getrunken und zum dritten Stern habe ich eine Flasche von Harlan Estate aufgemacht - großartig! Bei den Champagnern stehe ich mehr auf die gereiften Sachen - Henriot etwa oder Jacques Selosse.

Wenn Sie mal Urlaub machen, wo entspannen Sie?

Ich bin tatsächlich viel zuhause, weil ich im Alltag nicht viel von meiner Wohnung habe. Ich lebe sehr gerne in München und empfinde es als Luxusgut, nicht nur einen tollen Job, sondern auch einen großartigen Lebensmittelpunkt zu haben. Aber natürlich reise ich auch gern. Dieses Jahr geht es nach Japan und Hongkong.

Haben Sie eine Hotelempfehlung für unsere Community?

Das beste Hotel, in dem ich jemals abgestiegen bin, ist das Ritz Carlton in Hongkong. Es liegt mitten im Financial District und geht erst im 53. Stock eines Hochhauses los. Von dort hat man die perfekte Aussicht auf Hongkong - eine sehr spannende Destination. Das Hotel ist an Luxus nicht zu übertreffen, hat stylishe Zimmer, gute Gastro-Outlets und eine Rooftop-Bar, die seinesgleichen sucht.

Sie arbeiten seit Jahren in Spitzenhäusern der deutschen Hotellerie. Was sind Ihre Empfehlungen hierzulande?

Ich mag geschichtsträchtige Häuser, wie etwa das Adlon in Berlin. Eine besondere Beziehung habe ich zum Ritz Carlton in Wolfsburg, wo ich sieben Jahre lang mit Sven Elverfeld  im Restaurant Aqua gekocht habe.

Was ist Ihr persönlicher Signature-Dish?

Der Schweinebauch, die Gamberoni sowie Taube mit Birne und Reis - alles puristische Sachen mit knackiger Säure.

Und woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

Das kann überall sein. Wenn ich spazieren gehe, aber auch wenn ich zum Beispiel eine Currywurst esse, habe ich eine Assoziation und denke drüber nach! Man kann sich immer inspirieren lassen, wenn man seine Gedanken nur zulässt…

Ein wunderbares Schlusswort! Herzlichen Dank für dieses informative Gespräch!

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