INTERVIEW
Seit 2000 ist er Küchenchef des Restaurants Vendôme im Althoff Grand Hotel Schloss Bensberg. Mit uns sprach der Spitzenkoch über die Essenz seiner Küche, wie seine Teller entstehen, woher er Kraft sowie Inspiration nimmt und was ein Drei-Sterne-Lokal heute bieten muss.
Lieber Herr Wissler, mit drei Michelin-Sternen zählen Sie zur kulinarischen Weltspitze. 1963, in der Nähe von Stuttgart geboren, wuchsen Sie in der elterlichen Gastwirtschaft auf. War Ihnen immer schon klar, dass Sie Koch werden möchten?
Dass ich in der Gastronomie meine Kindheit verbracht habe war in jedem Fall ausschlaggebend. An den Wochenenden hatte ich meinen festen Platz und Dienst in der Küche. So konnte ich mich schnell an dieses Handwerk herantasten und habe früh festgestellt, dass ich daran nicht nur Gefallen finde, sondern auch ein gewisses Geschick und Gespür in den Händen hatte. Der Kopf kam später dazu.
Ihren ersten Michelin-Stern erhielten Sie im Jahr 1995 im Schloss Reichertshausen, der zweite Stern folgte bereits im Jahr darauf. Welche vorherigen Stationen haben Ihren Weg bestimmt?
Die Ausbildung war der wohl prägendste Part meiner Karriere. Da kommt man als junger Mensch frisch aus der Schule und muss klarkommen, ohne dass ein Elternteil bei jedem Problem zur Seite steht - das ist eine komplett neue Lebenssituation und sehr formend. Ich habe gelernt, mich in einem Team zu behaupten. Eine weitere wichtige Station war Brenners Parkhotel in Baden-Baden, wo ich nach meiner Ausbildung tätig war. Hier habe ich die klassischen Komponenten meines Berufes besonders intensiv gelernt und den Feinschliff in Sachen Disziplin, Genauigkeit und Exaktheit vermittelt bekommen. Ich bin sehr dankbar für diese „zweite“ Ausbildung, die heute nur noch wenige Jungköche erfahren dürfen. Denn die klassische französische Küche ist Grundlage von allem. Ich gehe zwar meinen eigenen Weg, man kann die französische Küche nicht in meinen Gerichten lesen, wohl aber schmecken: sehr intensiv, genau und fein.
Ist sie vielleicht auch ein Stück weit die DNA Ihrer Küche?
Die DNA ist vielmehr meine Herkunft, das Land, in dem ich lebe und die Tatsache, dass ich auf einem Bauernhof groß geworden bin. Ich habe einen anderen Bezug zu Lebensmitteln – egal ob Pflanze oder Tier. Das bestimmt mehr meine DNA, als die französische Küche, obwohl sie auch ein wichtiger und prägender Teil meines Schaffens ist.
Woran liegt es, dass Jungköche heutzutage nur noch selten die französische Küche lernen und was empfehlen Sie ihnen?
Die Entwicklung der französischen Küche wird in meinen Augen nicht intensiv genug in der Ausbildung gelehrt. Techniken und Essgewohnheiten der Menschen haben sich sehr verändert – und es gibt immer weniger Chefs, die sie gelernt haben und weitervermitteln können. Das ist auch ein Kostenfaktor. Wenn ein Betrieb ausbildet, dann investiert er mit dem Auszubildenden in die Zukunft. Verlässt der dann nach der Lehre das Lokal, so ist das natürlich sehr unbefriedigend für den Betrieb. Wenn ein junger Koch heute diesen Weg einschlagen möchte, empfehle ich, sich einen Betrieb zu suchen, der die klassische Ausbildung mit viel Akribie vermittelt. Danach kann ich mich dann entscheiden, welchen Weg ich gehen möchte: Ein großer Chef werden, mit eigenem Lokal? Oder lieber in einem guten Hotel perfekte Küche abliefern? Im Vorstandskasino kochen oder als Schiffskoch die Welt entdecken? Das Berufsbild ist vielfältig.
Im Jahr 2000 ging es für Sie nach Bergisch-Gladbach, wo Sie 2004 für das Restaurant Vendôme den dritten Michelin-Stern erhielten. Was treibt Sie an, dieses Spitzenniveau auch nach 15 Jahren stetig zu halten?
Die Neugierde ist eine Triebfeder. Wenn ich einmal ein Gestalter auf diesem Niveau bin, dann gibt es einen gewissen Anspruch an mich selbst. Du sagst nach 15 Jahren nicht einfach: Jetzt habe ich andere Ziele! Du hast einen Beruf – und der nimmt den größten Teil deines Lebens ein. Du hältst dich daran fest und das gibt Kraft, immer wieder neu zu gestalten. Als Koch blickst du auf Teller zurück, die du vor zwei, drei oder gar acht Jahren kreiert hast und vergleichst mit heute: Alles noch klarer und puristischer. Diese Dinge treiben an.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration als Kochkünstler und Visionär?
Da gibt es viele Dinge: Ich hatte zum Beispiel mal eine Phase, in der ich Kindheitserlebnisse aufgearbeitet habe und Gerüche und Geschmäcker aus meiner Kindheit auf den Teller gebracht habe. Wichtig sind für mich vor allem aber die Jahreszeiten: Was gibt die Natur in diesem Zeitraum her? Manchmal kommt die Inspiration auch vom Reisen. Man nimmt Eindrücke mit, die zu neuen Tellern führen. Ich habe zum Beispiel ein gutes Stück Fleisch. Das kann ich ganz klar und puristisch zubereiten oder komplex im Wechselspiel mit anderen Zutaten. So entstehen neue Dynamiken – zunächst erst einmal im Kopf, dann wird ausprobiert und auch mal verworfen oder weiterentwickelt.
Sie sprechen gerade die zeitliche Komponente an: In Ihrem Restaurant bekommt man ein Menü von A-Z serviert. Welche Arbeit steckt dahinter?
Unsere Menüs wechseln vier bis fünf Mal pro Jahr. Die Jahreszeiten sind die Eckpfeiler. Innerhalb einer Menüphase kommt es vor, dass wir zwei bis drei Gerichte tauschen – einfach, weil die Zutaten nicht mehr in der Qualität verfügbar sind. Zeitlich ist der ganze Prozess sehr aufwändig und langwierig. Manche Teller kreieren wir in zwei Tagen, andere brauchen zwei Wochen. Es gibt so viele kleine Details, wo wir anfangs nicht zufrieden sind und weiter optimieren. Ist ein Menü erst einmal fertig und rezeptiert, beginnen wir eine Woche später schon mit dem nächsten. Ich denke 365 Tage im Jahr über Dinge nach und habe Gott sei Dank einen Mitarbeiter, dem ich diese Ideen vorstelle. Da ich ja täglich am Herd stehe, entwickeln wir dann gemeinsam diese Vorstellungen zu fertigen Tellern.
Sie sind Künstler, Stratege, aber auch Unternehmer mit einem Team. Wie schwierig ist es, einen Drei-Sterne-Betrieb wirtschaftlich zu führen?
Es ist machbar, aber sehr schwierig! Das hängt mit der Gesetzeslage und den jüngsten Auflagen zusammen. Der Mindestlohn treibt die Kosten nach oben, was zu Selektion und Arbeitskräftemangel führt. Du hast als Restaurant einen hohen Wareneinsatz und hohe Lohnkosten, bei minimaler Marge. Wenn es gut läuft, bleibt am Ende des Jahres ein kleiner Gewinn übrig. In der heutigen Zeit ist daher die Auslastung der Schlüssel. Wenn ich an drei Tagen die Woche gar nicht ausgelastet und an weiteren fast ausgelastet bin, funktioniert es nicht. Ich muss an allen Tagen Mitarbeiter bezahlen und diese Kosten kann ich nicht kompensieren. Ein weiterer Faktor für Wirtschaftlichkeit ist der Standort: Das Lokal muss gut und schnell erreichbar sein, per Bahn und Flugzeug sowie in Stadtnähe. Man reist heutzutage nicht mehr zwei Tage irgendwo hin, um Essen zu gehen. Ich habe Gäste, die kommen morgens mit dem Flugzeug an, gehen bei mir essen und fliegen anschließend weiter. Als 3-Sterne-Lokal brauchst du auch die internationale Klientel. Da ist der dritte Stern der Türöffner.
Apropos: Wo liegt der Unterschied zwischen zwei und drei Sternen?
Sowohl im 2- wie im 3-Sterne-Bereich muss das Restaurant höchste Qualität abliefern, Innovation bieten und das Gesamtkunstwerk aus Mitarbeitern, Küche und Service sollte stimmen. Den entscheidenden Schlüssel zum dritten Stern gibt der Koch, der sein ganz eigenes Charisma verbreitet. Aber das ist nur mein Blickwinkel und steht in keinen Statuten.
Wie groß ist Ihr Team?
Wir beschäftigen 26 Mitarbeiter bei 40 Plätzen. Das zeigt die Dimension.
Wie wichtig ist Wein in der Begleitung?
Sehr wichtig! Ich habe vollstes Verständnis für Menschen, die keinen Alkohol trinken möchten und wir sind darauf eingestellt. Dennoch ist bei uns das Menü mit der Weinbegleitung ein kalkulatorisches Zusammenspiel. Über das Menü haben wir einen deutlich höheren Aufwand, der sich nur in der Kombi mit den Getränken wirtschaftlich rechnet.
Sie haben seit kurzem eine neue Sommelière?
Nachdem Marco Franzelin leider aus privaten Gründen ins Ausland gewechselt ist, mussten wir jemanden finden, der unsere gemeinsame Sache weiterträgt. Und das haben wir mit Maria Rehermann getan! Sie arbeitete zuvor bei Christian Jürgens und in anderen Sterne-Restaurants im In- und Ausland.
Ihr Metier ist Leidenschaft pur. Aber auch Druck! Wie halten Sie sich körperlich und geistig fit?
Ich lese täglich mindestens eine Tageszeitung, damit ich weiß, was außerhalb unseres kleinen Mikrokosmos auf der Welt passiert. Um mich körperlich fit zu halten, mache ich regelmäßig Sport. Nur so kann man sich diese extremen Belastungen ohne gesundheitliche Schäden erlauben.
Welche Ziele hat Joachim Wissler?
Dass ich das, was ich mache, noch viele Jahre weiter betreiben kann. Es gibt für mich noch keine Überlegungen für das „Leben danach“. Wenn man sich damit beschäftigt, bleibt das Junge, Frische und Dynamische auf der Strecke. Dazu braucht man die entsprechende mentale Stärke. Vielleicht ergibt sich auch innerhalb der Firma noch ein neues Restaurantkonzept, wo ich meine Erfahrung und die Essenz der letzten 20 Jahre einbringen kann. Die Menschen gehen heute nicht mehr nur wegen dem guten Essen ins Restaurant, es braucht den Erlebnisfaktor. Ich könnte mir vorstellen, diese Erfahrungen in ein neues Projekt einfließen zu lassen.
Gab es mal Situationen, wo Sie improvisieren mussten? Oder ist das in Ihrem Beruf an der Tagesordnung?
Improvisieren müssen wir Gott sei Dank nicht mehr, aber reagieren. Das ist Tagesgeschäft! Es gibt so viele unvorhergesehen Dinge: Da eröffnet ein Gast am Abend, dass er hochallergisch auf dieses oder jenes reagiert. Da bist du gefordert. Improvisiert haben wir die ersten Jahre hier viel, gemerkt hat das aber niemand. Das Hotel war bis dato auch kein Hotel und es dauert einfach, bis ein Restaurant seine Philosophie implementiert hat.
Was macht man, wenn so ein Gast kommt, bei einem fertigen Menü?
Das ist tatsächlich ein Problem und eine zusätzliche Belastung. Es gibt Gäste, die geben uns ihre Allergien schon bei der Reservierung an. Manche schicken sogar ganze Listen, was sie nicht essen dürfen. Diese Menschen sind dankbar, wenn man sich damit beschäftigt hat, aber es erfordert schon einen riesen Aufwand, wenn man aus dem Tagesrepertoire nichts nutzen kann. Dieses Problem hat zugenommen und ist für mich auch eine Modeerscheinung. Ich finde es grundsätzlich gut, dass sich die Menschen mehr mit Nahrung beschäftigen. Vieles ist aber „Kopfallergie“ oder einfach Abneigung.
Morgen finden hier die 17. Wine Awards des Hamburger Genussmagazins „Der Feinschmecker“ statt. Dann stehen viele Starköche, wie etwa Bobby Bräuer oder Christian Jürgens am Herd. Wie ist das Verhältnis untereinander? Konkurrenz oder eine eingeschworene Gemeinschaft?
Letzteres. Auch, wenn das Persönliche bei solchen Veranstaltungen leider viel zu kurz kommt und man keine Zeit füreinander hat. Jeder ist auf sich fokussiert und hat kaum Vorlauf oder Nachlauf. Es kommen 600 bis 700 Gäste. Wenn man für so eine Größenordnung kocht, engt das die innovative Seite ein. Man muss etwas mit Wiedererkennungseffekt produzieren, mit dem man auch 600 Leute erreicht. Mache ich zum Beispiel Austern, muss ich damit rechnen, dass die Hälfte keine Austern isst. So versucht jeder sein Ding zu machen. Wir sind aber keine Konkurrenz sondern gehen sehr herzlich miteinander um.
Haben Sie überhaupt Zeit woanders essen zu gehen?
Das geht leider nur an freien Tagen oder im Urlaub. Mich zieht es dann dahin, wo ich Neues höre und was mich interessiert. Das ist auch für meine Küche ein wichtiger Aspekt, der mich frische Impulse gibt.
Sehen Sie im Genussbereich Trends für 2019/2020?
Diese Zeitspanne ist eigentlich nur ein Fingerschnipp. Ich glaube langfristig wird das Thema Nachhaltigkeit weiter um den ökologischen Fußabdruck ergänzt. Kann ich guten Gewissens Fleisch essen? Und wie verhält es sich mit Fisch aus der Zuchtfarm? Hier wird sich viel verändern. Die Menschen sind sensibler geworden für solche Konzepte. Wo wird Nachhaltigkeit wirklich gelebt und nicht nur vorgespielt? Schaut man zum Beispiel nach Skandinavien: Dort muss die Luftfahrtindustrie mit starken Rückgängen kämpfen. Denn hier hat Natur einen ganz besonderen Stellenwert für die Menschen. Essen wird langfristig auch daran gemessen werden, wie nachhaltig die Produktion ist.
Welche Bedeutung hat August Kesseler für Sie?
Wir sind Buddies und haben auch schon die eine oder andere kulinarische Experience gemeinsam gemacht. Kessler hat Reinhartshausen als Verwalter des Weinguts qualitativ sehr weit vorangetrieben, ist ein Tausendsassa und lebt das, was er macht.
Was ist Ihr persönliches Lieblingsessen?
Ich bin „Pescetarier“, komme vom Bauernhof und habe meinen Fleischkonsum in den letzten Jahren sicher um 70 Prozent reduziert. Ich esse Fleisch nur, wenn ich weiß, wo es herkommt und dass es qualitativ hochwertig ist. Mein Vater hat einen Bioland-zertifizierten Hof und ich sehe, wie groß der Aufwand ist, Tiere großzuziehen und wie klein die Marge. Das hat mich dazu bewogen, weniger Fleisch zu essen. Und gesund ist es auch. Wenn Sie mich jetzt gerade nach meinem Lieblingsgericht fragen: Dann hätte ich gern einen schönen Spargel mit einem Stück Fisch, am liebsten einer Seezunge aus der Bretagne.
Lifestyle Insider ist eine Reise- und Genuss-Community. Gibt es für Sie einen Lieblingsort auf der Welt, wo Sie Kraft tanken und runterkommen?
Ich habe großes Glück, dass meine Firma genauso einen Ort betreibt: Daher bin ich auch mindestens einmal im Jahr am Tegernsee im Hotel Überfahrt bei Christian Jürgens. Wenn es mir die Zeit erlaubt verbringe ich auch gern fünf Tage auf Sylt – immer außerhalb der Ferienzeiten. Das Meer zu riechen und die Seeluft - das gibt mir Kraft! Abgesehen davon auch der Hof meiner Eltern auf dem Land. Es ist so ruhig dort, dass ich meist eine Nacht brauche, um diese Ruhe zu verstehen. Nach fünf Stunden Schlaf hast du dort mehr Energie, wie sonst nach acht Stunden.
Lieber Joachim Wissler, herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch!
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